Montag, 20. Juli 2009

Second Life - der Campus der Zukunft

In der Marketingvorlesung von Miklos Sarvary am Insead in Fontainebleau tummelt sich Getier - doch nicht aus Fleisch und Blut: Die Kreaturen sind Avatare der Studenten in der virtuellen Welt von Second Life.


2007 hat das Insead einen Campus in Second Life gegründet. Das französische Institut zählt zu der Handvoll Business Schools, die erforschen wollen, welches Potenzial die virtuelle Welt bei der Innovation der Manageraus- und -weiterbildung birgt. "Anfangs haben die Leute nur herumgeblödelt, und es hat Spaß gemacht", sagt Sarvary. "Aber dann haben sie erkannt, dass wenn man nicht im Spielmodus ist, sondern einer zielgerichteten Tätigkeit nachgeht, es Vorteile hat, Hinweise zur eigenen Identität zu geben."

Business Schools wie das Insead, die Stockholm School of Economics (SSE) und Duke Corporate Education (Duke CE) in den USA experimentieren mit Second Life und wollen sich zunutze machen, dass viele Studierende heute mit Onlinerollenspielen vertraut sind. Das Prinzip des Eintauchens in eine virtuelle Welt trifft auch auf Menschen zu, die sich zu einem Projekt zusammenfinden, um an ihm gemeinsam zu arbeiten, sagt Sarvary.

Neuer Bildungsweg

Noch können sich nur wenige Dozenten für diese Art des Unterrichts begeistern. Doch es gibt Anzeichen, dass das Engagement der Business Schools in Second Life und anderen virtuellen Welten einen ganz neuen Bildungsweg eröffnen könnte. Da ein großer Teil der Projektarbeit von Studenten an campusfernen Standorten geleistet wird, hat es durchaus seinen Reiz, in eine dreidimensionale Welt "eintreten" zu können, die für alle Beteiligten gleich aussieht.
"Es ist eine fantastische Plattform", sagt Robin Teigland, außerordentliche Professorin an der SSE. "Man bezahlt für eine 'Insel', was aber nicht viel kostet, und kann dann mit Simulationen experimentieren und mit Menschen auf der ganzen Welt kommunizieren."

Skepsis mit Forschung überwunden

Steve Mahaley, Direktor für Lerntechnologie an der Duke CE, gehörte zu denen, die sich erst nicht so recht für die virtuelle Welt begeistern konnten. "Anfangs fand ich es lächerlich", sagt er. "Warum sollte irgendjemand eine Cartoonwelt ernst nehmen, in der ich einen Avatar herumfahren lasse, der mir überhaupt nicht ähnlich sieht?"
Doch seit Anfang vergangenen Jahres erforscht Mahaley - alias Ace Carson in Second Life - die Bildungsmöglichkeiten dieser und anderer virtueller Welten. "Mit der Zeit habe ich erkannt, dass da viel mehr dahintersteckt und möglich ist", sagt er, "vor allem in Hinblick auf die Generation Jungmanager, die mit diesen Welten aufgewachsen ist. Es schickt sich einfach, dass wir uns das genauer anschauen."

Kontakte, Projekte, Lösungen

Nach Ansicht von Sarvary trägt Second Life dazu bei, ein Problem zu lösen, mit dem viele Business Schools zu kämpfen haben: Wie bleibt man in Kontakt, wenn die Studierenden auf der ganzen Welt verteilt sind, und wie können Studenten und Absolventen untereinander in Kontakt bleiben? "Es ist irgendwie komisch, jemanden anzurufen oder jemandem eine E-Mail zu schicken, den man fünf Jahre nicht gesehen hat", sagt Sarvary. "Wenn es aber einen Ort gibt, wo man sich spontan wiedertreffen kann, dann ist das großartig."

Teigland - Karinda Rhode in Second Life - sagt, in eine 3D-Welt eintreten zu können sei eine viel realere Erfahrung als eine Videokonferenz. Sie hat in Second Life Treffen mit Mahaley arrangiert, den sie nie persönlich getroffen hat. Ihre beiden Business Schools haben bei einer virtuellen Übung zur Teambildung zusammengearbeitet, die als Vorbereitung für das Managerweiterbildungsprogramm der SSE dienen sollte.

Innovatives Denken im Fokus

Mahaley weist darauf hin, dass für teambildende Maßnahmen in der realen Welt alle möglichen Materialien bereitgestellt werden und die Beteiligten sich an ein und demselben Ort befinden müssen. "Das ist im Allgemeinen sehr kostspielig", sagt er.
Die Schwerelosigkeit der virtuellen Welt bringt jedoch andere Herausforderungen mit sich. "Es war interessant zu beobachten, dass einige der Studenten damit Probleme hatten", so Mahaley. Dieser Aspekt der virtuellen Welt stelle die Dozenten vor interessante Optionen, innovatives Denken zu erforschen - Optionen, die im wirklichen Leben nicht bestehen, sagt er.

Ab auf die virtuelle Insel zum Brainstorming

Am Insead haben Sarvary und einige seiner Kollegen Unterrichtsstunden und Gruppendiskussionen in Second Life abgehalten, "private Räume" auf dem virtuellen Campus wurden für Coachings genutzt. Die Schule besitzt auch eine kleine Insel, wo die Studenten ihre Ideen entwickeln können.

Sarvary sagt, sein Institut erwäge auch, mithilfe von Second Life künftigen Studenten zu zeigen, wie ein Kurs am Campus in Fontainebleau oder am zweiten Campus in Singapur abläuft. Das würde bedeuten, dass das derzeitige System zur Beantwortung häufiger Fragen von der Schulverwaltung in die virtuelle Welt übertragen werden müsste. "Second Life ist ein sehr leistungsstarkes Tool, um einen ersten Eindruck zu vermitteln, allerdings ohne die horrenden Reisekosten", sagt Sarvary.

Erfolg nachweisen

Teigland, Sarvary und Mahaley sind sich einig, dass Second Life und andere virtuelle Welten noch eine ganze Weile nur als Ergänzung zu bestehenden Lehrmethoden dienen. Wie seinerzeit das Internet müssen sich virtuelle Welten erst noch als erfolgreich erweisen. Auch muss die Technologie noch fester Bestandteil der Hilfsmittel werden, die die Kunden der Business Schools nutzen. Sarvary gesteht ein, dass immer noch technische Probleme bestehen. "Die Welt ist noch nicht vollkommen bereit, diese virtuellen Welten auf breiter Ebene zu unterstützen - das ist die Herausforderung, der wir uns stellen müssen", sagt er.

Quelle: Baxter, Andrew: Second Life- der Campus der Zukunft, 09.03.2008, URL: http://www.ftd.de/karriere_management/karriere/:Second%20Life%20Campus%20Zukunft/327478.html ( 20.07.2009, 19:55 MEZ)

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