Sonntag, 5. April 2009

Ein Fünftel der Kosten und keinen Jetlag

IBMs Academy of Technology gilt als Vorreiter in Sachen zukunftsweisende Technologiestudien und -forschung. Im Herbst 2008 veranstaltete die Academy eine Virtual World Conference und anschließend eine Jahresversammlung. Beide fanden in einer sicheren Second Life-Umgebung statt, wobei der Veranstaltungsort speziell für IBM-Veranstaltungen wie Keynote und Breakout-Sessions sowie einen simulierten Green Data Center, eine Bibliothek und verschiedene andere Orte für Besprechungen designt wurde. Für die über 200 Teilnehmer wurde vor der Konferenz ein Grundlagen-Training für Second Life angeboten, damit diese sich in der virtuellen Welt bequem zurechtfinden konnten. IBM schätzt, dass der ROI für die Virtual World Conference bei rund 320.000 US $ lag und die Jahresversammlung für nur ein Fünftel der in der realen Welt anfallenden Kosten ausgeführt wurde. Viele IBM-Mitarbeiter wurden zu Advokaten der virtuellen Welt und ebnen nun den Weg für viele zukünftige interne Konferenzen und Events, die innerhalb von Second Life stattfinden sollen.
Virtuelle Welten wecken das Interesse von IBMs Academy of Technology
Unter den über 200.000 technischen Mitarbeitern von IBM weltweit gibt es eine ausgesuchte Gruppe von 330 Vordenkern und Technologie-Innovatoren, welche die angesehene IBM Academy of Technology (AoT) bilden. AoT-Mitglieder beraten IBM hinsichtlich Technologie, sie identifizieren und verfolgen technische Entwicklungen und Möglichkeiten, verbessern IBMs Technologie-Basis und entwickeln IBMs technische Gemeinschaft.
Die AoT ist immer auf der Ausschau nach zukunftsweisenden technologischen Trends. Virtuelle Welten hatten schon seit längerem ihr Interesse geweckt. Im Herbst 2007 jedoch wurde einigen Mitgliedern der Gruppe klar, dass virtuelle Welten viel mehr bieten als eine interessante Spielumgebung oder ein Werkzeug für das Pflegen von sozialen Kontakten. Sie erkannten in virtuellen Umgebungen das Potential, die Geschäftswelt global zu verändern und wollten diese deshalb genauer untersuchen.

Neil Katz, ein Mitglied der Academy of Technology und IBM Distinguished Engineer empfahl sogar, virtuellen Welten eine ganze AoT-Konferenz zu widmen. Vice-Chairman Emeritus der Academy of Technology Irving Wladawsky-Berger pflichtete ihm bei und hatte eine sogar noch bessere Idee. Warum nicht eine Konferenz über virtuelle Welten in einer virtuellen Welt abhalten? Larry O'Connell, Neil Katzs Co-Vorsitzender der Konferenz und Direktor des Technical Advisor Project Office war der gleichen Meinung. Dies alles machte soviel Sinn! Ein paar Monate später wurde einer Virtual World Conference zugestimmt und diese für Oktober 2008 anberaumt. Die Konferenz würde in der sicheren Umgebung von Second Life stattfinden und von Linden Lab, den Entwicklern von Second Life, gehostet werden.

IBM bereitet sich auf seine erste Konferenz in einer virtuellen Welt vor

Neil Katz bildete schon bald ein Kernteam aus Mitarbeitern aus verschiedenen Abteilungen von IBM. Dieses Team war für die Planung und das Design dieser Virtual Worlds Conference zuständig. Craig Becker, Global Architect für IBMs Digital Convergence EBO (Emerging Business Opportunity) und ein erfahrener Einwohner von Second Life, bot sich an im Kernteam als Chief Architect und Design Leader mitzuarbeiten. Herr Becker arbeitete mehrere Monate mit Linden Lab zusammen, gestaltete hinter IBMs Firewall 16 Regionen in Second Life, und schuf eine sichere Umgebung für die Konferenzteilnehmer, wobei ein Zugang zu IBM und auch zu anderen Inseln in der öffentlichen Umgebung von Second Life gewährleistet war. Becker und ein Team von freiwilligen Designern und Baumeistern bauten die Anlage für die Konferenz mit einer Willkommens-Plaza, Picknick-Gelände, 3 Theatern, mehreren Gärten, Support-Bibliothek, Green Data Center, Versammlungsorten und auch eine skurrile Wüstenlandschaft mit leuchtenden Pflanzen.
Während Becker und sein Team die Anlage gestalteten, gründete Karen Keeter, Marketing Executive und Mitglied des Kernteams für die Konferenz eine weitere Freiwilligengruppe aus Mitgliedern von IBMs Virtual Universe Community (VUC), einer informellen Gruppe mit ca. 6.100 Mitgliedern. Diese Freiwilligengruppe sollte bei der Veranstaltung mithelfen und neue Second Life Benutzer einlernen. Das Training deckte Grundlagen ab, wie „Anfänger”-Tipps zur Registrierung bei Second Life, Aktivierung des Voice-Chats, Verwendung des Viewers und Navigation in der virtuellen Umgebung. Ziel war es, allen Teilnehmern zu helfen, sich mit dem Konferenzgelände und mit ihren Avataren vor der Konferenz vertraut zu machen.

IBM Academy of Technology veranstaltet Virtual World Conference in Second Life

Am 21. Oktober 2008 war es endlich soweit: das Konferenzzentrum war fertiggestellt, die Freiwilligen, Veranstalter und Teilnehmer waren bereit. Die dreitägige Virtual World Conference der Academy of Technology zog über 200 Mitglieder weltweit an, angeboten wurden 3 Keynotes und 37 Breakout-Sessions. Die Sessions wurden aus über 65 Eingaben von einem Gremium aus Academy-Mitgliedern, angeführt von Boas Betzler, Virtual World Architekt, IBM STSM und Mitglied der IBM Academy of Technology, ausgewählt. Freiwillige der IBM VUC nahmen Teilnehmer in Empfang und halfen ihnen dabei, ihre Sessions zu finden. Im Willkommensbereich waren auch Kioske vorhanden, an denen Teilnehmer die Sessions anklicken und sich von dort aus direkt zu den gewünschten Sessions teleportieren lassen konnten.
Viele der Breakout-Sessions waren nicht einfach herkömmliche Konferenzveranstaltungen. Der Veranstaltungsort war so gestaltet, dass die Moderatoren ermutigt wurden, die Sessions kreativ und interaktiv zu gestalten und alle Vorteile der virtuellen Welt zu nutzen. So wurden z.B. in den Gärten Dia-Präsentationen auf Leinwänden gezeigt. Der Leiter einer Session verwendete ein 3-D-Modell eines Servers, um Teilnehmern in größerem Detail die Instandhaltung dieses Geräts zu demonstrieren. Außerdem war der virtuelle Green Data Center, in dem grüne Technologien von IBM simuliert wurden, ein großer Hit.

Wirklicher Erfolg in einer virtuellen Welt

Sowohl die Organisatoren als auch die Freiwilligen stimmten überein, dass die Virtual World Conference durchweg ein Erfolg war und ihre Erwartungen bei weitem übertroffen wurden. Die Teilnehmer waren begeistert von der Konferenz und genossen dieses Erlebnis. IBM schätzt, dass bei einem Kapitaleinsatz von ca. 80.000 US$, 250.000 US$ an Reise- und Unterkunftskosten eingespart wurden. Zusätzlich wurden über 150.000 US$ an Produktivitätsgewinn gemacht (da die Teilnehmer ja schon an ihren Computern saßen und gleich wieder ihre Arbeit aufnehmen konnten). Zusammen ergibt dies ein Ersparnis von 320.000 US$ (im Vergleich zu den potentiellen Kosten, wenn die Konferenz in der realen Welt abgehalten worden wäre).
Obwohl diese ROI-Zahlen sehr beeindruckend sind, gab es noch einen anderen beeindruckenden Vorteil: die Teilnehmer nutzten den Veranstaltungsort für Networking und um Kontakte zu knüpfen. Die Konferenzveranstaltungen dauerten oft länger als geplant, da die Teilnehmer über verwandte Themen weiter diskutierten. Abends fanden sich Teilnehmer in verschiedenen Versammlungsplätzen ein, wobei einer der Lieblingsplätze das Picknickgelände war, und unterhielten sich miteinander bei einem virtuellen Cocktail. „Es war schön am Ende des Tages andere Teilnehmer im Skulptur-Garten zu treffen und zu hören, was einige der Distinguished Engineers über die Konferenz zu sagen hatten. Und auch darüber, was man mit dieser Technologie in Zukunft noch alles machen könnte. Die Möglichkeit einander zu sehen und der interessante Veranstaltungsort trugen zu dem Gefühl bei, an einem Ereignis der besonderen Art teilzunehmen, anstatt sich einfach nur in eine große Telefonkonferenz einzuwählen.“
Also haben nicht nur die Teilnehmer in einer virtuellen Welt etwas über das Potential virtueller Welten gelernt, IBM hat auch massive Einsparungen gemacht und auch von den „nebensächlichen” Vorteilen wie Networking und Kontakte knüpfen, profitiert. Gerade dies ist nämlich oft das Beste an Konferenzen in der realen Welt.

Die nächste Jahresversammlung absagen? Second Life kommt zur Hilfe

Eine Teilnehmerin der Virtual World Conference war Joanne Martin, Präsidentin der IBM Academy of Technology. Frau Martin sieht ihre Aufgabe darin „die Academy zu verändern, sie aktiver zu gestalten und regelmäßige Zusammenkünfte zu organisieren”. Und genau das war auch ein wichtiger Programmpunkt der bevorstehenden Jahresversammlung der AoT, welche im darauffolgenden Monat in Florida stattfinden sollte. Jedoch entschied Frau Martin und ihr Führungsteam sich gleich nach der Teilnahme an der Virtual World Conference gegen eine große Jahresversammlung in der realen Welt. Sie sagten die bevorstehende Jahresversammlung 2 Wochen vor Veranstaltungsbeginn ab. Jedoch brauchten sie nun einen alternativen Veranstaltungsort, in dem sie die Jahresversammlung der Academy abhalten konnten.
Obwohl sie vor der Virtual World Conference im Oktober noch nie zuvor Second Life verwendet hatte, war sie so beeindruckt, dass sie ein Teil der Jahresversammlung in Second Life abhalten wollte. Diese Veranstaltung würde jedoch viel umfangreicher sein. 3 Tage vollgepackt mit verschiedenen Aktivitäten, wie beispielsweise:

- IBM Technical Agenda Brainstorming-Sessions
- Sessions für die Führungskräfte
-„Read-out”-Präsentationen, in welchen Teilnehmer Forschungsresultate mit anderen teilen
- Bird-of-a-feather-Sessions (Diskussionen mit Gleichgesinnten)
-„Poster-Sessions”, in welchen Akademie-Mitglieder ihr Fachgebiet vorstellen und mit anderen Teilnehmern über ihre Arbeit diskutieren können

Aufgrund der Komplexität des Veranstaltungsprogramms verwendeten einige Sessions Webcasting und Videokonferenz-Technik, während die 120 Poster-Sessions in Second Life veranstaltet wurden. Für die Veranstaltungen konnten viele der Orte, die für die Virtual World Conference geschaffen wurden, erneut verwendet werden. Und es wurden wiederum Freiwillige eingesetzt, die AoT-Mitglieder, welche an der Virtual World Conference nicht teilgenommen hatten, in Second Life einführten und die Teilnehmer während der Veranstaltung unterstützten.

Second Life wird zum Mittelpunkt der Jahresversammlung

Obwohl auch andere Technologien verwendet wurden, wurde Second Life schnell zu einem Treffpunkt für Teilnehmer. Auch wenn gerade keine Poster-Sessions vorgesehen waren, waren im AoT-Willkommensbereich immer Teilnehmer zum Networken zugegen. Karen Keeter sagte: „Zu jeder Tageszeit waren in der Plaza mindestens 10 bis 12 Leute und haben sich unterhalten.” Als Frau Martin und Frau Keeter sahen, dass sich Leute spontan versammelten, kamen sie überein, dass solche Networking-Pausen und Cocktail-Stunden, fortan offiziell in das Programm gehörten, so wie bei traditionellen Konferenzen auch. Demnach wurde aufgrund des natürlich entstandenen Networkings während der ersten zwei Konferenztage von beiden ein zweistündiges Networking-Event bei den Picknicktischen am Strand am letzten Tag veranstaltet. AoT-Mitglieder konnten sich so auf ein virtuelles Bier treffen und mit anderen reden, während andere virtuell Drachenfliegen oder Jetski-Fahren lernten. Es war das perfekte Finale einer phänomenalen Konferenz.

Die Ersparnisse hätten besser nicht sein können

Alle diese Vergnügungen sind auch wichtig, jedoch sind die ROI-Zahlen ausschlaggebend. Laut Frau Martin: „Second Life ermöglichte einen positiven sozialen und technischen Austausch, wobei die meisten unserer Zusammenarbeitsvorgaben berücksichtigt wurden. Außerdem konnten wir die Veranstaltung zu nur einem Fünftel der Kosten und ohne einen einzigen Teilnehmer mit Jetlag abwickeln.

Konferenzveranstalter und Teilnehmer entdecken, dass virtuelle Ereignisse „real” sind.

Als Joanne Martin kürzlich nach den Gründen für eine virtuelle Versammlung gefragt wurde, antwortete sie, dass es hauptsächlich um Networking und Kontaktknüpfen gehe. Dies zu ermöglichen sei ihre Aufgabe und Second Life sei hierzu perfekt. „Es war perfekt!”, sagte sie. „Es war wunderbar! Ich war total überrascht, dass ich mich als Teil dieser (virtuellen) Existenz gefühlt habe. Es hat mir die Augen geöffnet und ich habe erkannt, was für ein Potential in dieser Technologie steckt.” Weiterhin sagte sie: „Das Eintauchen [in Second Life] hatte einen sehr komischen, aber unwiderstehlichen psychologischen Effekt. Ein Teil von mir fühlte sich, als sei ich körperlich wirklich dort. Und ich konnte mir zusehen, wie ich herumlief und mit Leuten redete. Kollegen kamen vorbei und redeten mit mir. Es gab viele zufällige, unverkrampfte Begegnungen.” Der Veranstaltungsort wirkte so real, das Frau Martin ein paar Tage nach der Versammlung einen Anruf von einem Akademie-Mitglied erhielt, um zu fragen, ob diese den Versammlungsort am Abend betreten dürfe, um dort in einer Hängematte zu entspannen.
Herr Becker teilt Frau Martins Meinung in Bezug auf „Anwesenheit" in virtuellen Welten. Er sagt: „Als Leute am nächsten Morgen nach den virtuellen Besprechungen aufwachten und noch einmal über den vergangenen Tag nachdachten, war das Gefühl ganz anders, als wenn man sich an einen Webcast oder eine Telefonkonferenz erinnert. Es kam uns wirklich so vor, als hätten wir an einer wirklichen Besprechung teilgenommen, wir haben kommuniziert und sind mit vielen praktischen Informationen nach Hause gegangen."
Herr Katz räumte jedoch ein, dass zu Anfang einige der AoT-Mitglieder skeptisch gegenüber Second Life waren. Er erzählte von einer Unterhaltung mit einem Kollegen, dieser sagte: „Ich verstehe wirklich nicht, wie das [die Technologie der virtuellen Welt] was werden soll.” Katz antwortete: „Naja, wird sind schließlich in Second Life und unterhalten uns.” Sein Kollege dachte kurz nach und sagte dann: „Du hast Recht. Ich bin jetzt schon zwei Stunden hier.” Katz: „Siehst du? Es funktioniert wirklich. Wir haben aus eingefleischten Skeptikern Kritiker und aus Zweiflern Fans gemacht".

IBM freut sich auf eine glänzende Zukunft in der virtuellen Welt

Nach der Virtual World Conference und der Jahresversammlung in Second Life ist sich die AoT einig, dass virtuelle Welten die Geschäftswelt, IBM und IBMs Kunden sehr beeinflussen werden. Und die beste Methode virtuelle Welten kennen zu lernen, ist diese zu verwenden. -IBM hat sich hierzu entschlossen.

http://secondlifegrid.net/casestudies/IBM_de, 05.04.2009