Auch wer sich nicht für Computerwelten interessiert, lässt sich durch Ailin Gräfs berühmte Lebensgeschichte in den Bann ziehen. Die hessische Lehrerin verdiente angeblich Millionen Dollar mit dem Verkauf virtueller Grundstücke und wurde dafür sogar (in Gestalt ihrer Online-Figur Anshe Chung) auf den Titel der Zeitschrift „Businessweek“ gesetzt. Berühmt wurde sie auch deshalb, weil jemand sie im virtuellen Raum mit Penis-Modellen bombardierte. Das war 2006 - inzwischen haben Juristen Gräfs Einnahmequelle, die virtuelle Welt „Second Life“, nach allen Regeln der Paragraphenkunde durchgeprüft.
An den Anfang jeder sachlichen Auseinandersetzung setzen Rechtswissenschaftler eine Definition. Michael Schumann, Geschäftsführer der Berliner Firma Second Interest, berät seit Jahren Unternehmen, die reales Geld mit virtuellen Welten verdienen. Auf einer Fachtagung der Deutschen Stiftung für Recht und Informatik in Oldenburg umschrieb er diese jüngst als „persistente dreidimensionale Umgebungen im Internet“ - und traf damit eine in der Rechtswissenschaft inzwischen gängige Formulierung. Gemeint ist, dass die Welt in ihrem jeweiligen Zustand weiterexistiert, auch wenn ein Nutzer sie verlässt. Für Skeptiker, die „Second Life“ zusammen mit seinen zahllosen Wettbewerbern als Teil eines längst überholten Trends sehen, hielt Schumann beeindruckende Zahlen parat: Allein in „Second Life“ seien über eine Milliarde Dollar umgesetzt worden; 2012 sollen Schätzungen zufolge mehr als 10 Milliarden Dollar mit virtuellen Gütern umgesetzt werden.
„Die Hefe für den Hype“
Diese Welten finanzieren sich durch Abogebühren sowie durch den Verkauf virtueller Gegenstände - etwa Immobilien oder Kleidung, insbesondere aber Statussymbole wie Markenschuhe, für die Figur, die das eigene Ich des Spielers verkörpert. Diese Inhalte im Internet erstellen und verkaufen zu können sei „die Hefe für den Hype“ nach dem Platzen der Internet-Blase gewesen, vermutet Schumann.
Oft dient als Zahlungsmittel eine eigene Währung. Die Betreiber von „Entropia Universe“ führen inzwischen eine international gültige Banklizenz der schwedischen Finanzverwaltung für ihr reales Institut Mind Bank. Spieler können ihr erwirtschaftetes virtuelles Geld nun an realen Automaten in Währungen wie Euro oder Dollar abheben. Auch die amtliche Begründung des seit November geltenden Zahlungsdiensteaufsichtsgesetzes in Deutschland erwähnt virtuelle Welten ausdrücklich. Die Bundesregierung will die Betreiber demnach nicht als „Zahlungsdienstleister“ sehen - im Regelfall jedenfalls (Drucksache 16/11613).
„Reicht diese alte Schwarte?“
Wie virtuelle Gegenstände und deren „Kauf“ sich im deutschen Zivilrecht einordnen lassen, beschäftigt Doktoranden schon seit längerem. Mietet oder pachtet der Käufer nur den notwendigen Speicherplatz und die Software, die für die Generierung des neuen Schwerts oder einer modischen Hose für die eigene Figur notwendig sind? Oder handelt es sich um einen Rechtskauf? Einen Tausch? Der Lüneburger Professor Jens Schubert spitzte diese Unwägbarkeiten zu: „Reicht diese alte Schwarte?“, fragte er mit Blick auf das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Doch das mehr als 100 Jahre alte Regelwerk macht seiner Ansicht nach eine gute Figur: Eine Sache im Sinne von § 90 BGB seien die Dinge aus dem Cyberspace zwar mangels Körperlichkeit nicht. Aber der Oberbegriff „Gegenstand“ sei schon nicht mehr auf das Physische beschränkt. Auch wenn einmal nicht feststeht, ob ein „Vertrag“ im elektronischen Raum Spiel oder Ernst ist, könne die traditionelle Lehre der Willenserklärungen auch in moderner Umgebung für Klarheit sorgen: Sogenannte Scherzerklärungen kenne das BGB etwa schon lange (§ 118 BGB).
Doch bevor über Sachfragen gestritten werden kann, muss das richtige Gericht nach dem jeweils anwendbaren Recht entscheiden. Die traditionelle Methode der „Lokalisierung von Rechtsverhältnissen“ im Internationalen Privatrecht schneide sich da mit dem „entlokalisierten“ Internet, seufzte Robert Freitag von der Universität Hamburg. Zumindest im Verhältnis zwischen Betreiber und Verbraucher würde eine Rechtswahl durch zwingende Verbraucherschutznormen durchlöchert. Die Spielewelt „World of Warcraft“ zeichne diese Besonderheit sogar in ihren Klauseln nach; anderen Anbietern wird das Heft durch entsprechende Normen in deutschem und europäischem Recht aus der Hand geschlagen. Eine einheitliche Rechtswahl für das Netz aller Beteiligten in einer virtuellen Welt, wie sie etwa die „Rom-I-Verordnung“ der EU für den Börsenhandel vorsieht, würde zwar zu mehr Einheitlichkeit führen. Eine entsprechende Analogie hält der Jurist jedoch für unzulässig.
Gekauftes „Land“ sei durchaus zu bilanzieren
Ist der Kauf perfekt, können handfeste Bilanzierungsprobleme auftauchen, berichtete der Wirtschaftsprüfer Heinz-Wilhelm Appelhoff von der Treuhand Oldenburg - eine gekaufte Insel in „Second Life“ bringe „die Dame in der Buchhaltung“ nämlich durchaus ins Schleudern. Dabei sei gekauftes „Land“ durchaus zu bilanzieren, warnte Appelhoff. Im Handelsgesetzbuch sei nicht die sachenrechtliche Einordnung, sondern die wirtschaftliche Sicht entscheidend. Der Begriff des Vermögensgegenstands im Handelsgesetzbuch stelle nicht auf Körperlichkeit, sondern allein auf Individualisierbarkeit und Nutzen ab. Schwierig zu bewerten seien allerdings selbstkreierte Objekte, die als Umlaufvermögen eingebracht werden dürfen. „Entscheidend ist, ob dafür ein Markt erkennbar ist“, schloss Appelhoff - und im Zweifel führt das Vorsichtsprinzip zur Ausbuchung.
Christian Ravenstein, Steuerrechtler aus Binnen, überraschte schließlich mit einer fiskalischen Kuriosität: Bei Geschäften in Second Life müsste seiner Ansicht nach Umsatzsteuer entrichtet werden - und zwar, anders als in der Realität, auch für den Bezahlvorgang. Das Bundesfinanzministerium sehe Lindendollar nicht als Währung im Sinne des Umsatzsteuerrechts, der virtuelle Kauf sei somit steuerrechtlich als „tauschähnlicher Vorgang“ zu sehen.
Die hessische „Second Life“-Ikone Ailin Gräf muss sich über derlei Fragen nicht den Kopf zerbrechen. Ihr Unternehmen sitzt in China, wo virtuelle Welten sehr verbreitet sind - wie es heißt, ist ihr das Geschäft in Deutschland zu bürokratisch.
Quelle: Wieduwilt, Hendrik: Steuern zahlt man auch im zweiten Leben, 19.11.2009,
URL: http://www.faz.net/s/Rub4C34FD0B1A7E46B88B0653D6358499FF/Doc~E02BDD0152B1A4896BFC0003FB88343C5~ATpl~Ecommon~Scontent.html?rss_googlenews ( 22.11.2009)